Brief vom 19. Mai 1741, von Sulzer, J. G. an Gessner, J.

Datum: 19. Mai 1741

Hochedler, Hochgelehrter p.
Insonders hochzuehrender Herr.

Ob ich gleich die Freyheit nemme E HochEdel. durch ein geringes Schreiben von Ihren vielen und wichtigen Geschäften abzuhalten; so habe ich doch wenig wichtiges darvon Sie zu berichten wären. Meine Musen sind fast durch die ganze Zeit meines hiesigen aufenthalts in tieffem Schlaff gelegen; Ich habe wenig gelesen, und eben so viel meditirt, folglich kann ich E Hochedl. weder von dem einen noch von dem anderen etwas sagen, daß Ihrer aufmerksamkeit würdig wäre. Etwas weniges, das hierbeyligt wird Ihnen, wie ich hoffe nicht unangenehm seyen. Das Microscopium habe in die mir mögliche volkommenheit, oder unvolkommenheit gesezt. Dem Leüchter manglet noch ein Glaß, dergleichen ich keines gehabt habe: In dem Stand aber wie er ist kann er anstatt eines Schirms dienen, die objecta zu beschatten, welches fast allezeit nöthig ist, denn eine überflüßge Helle blendet Sie. Von dem gehalt des Glases ist noch eine Lamina, damit das objectum noch genug könne hingelaßen werden. Das Gestell oder Handhebe habe ich hier auß mangel eines drähers nicht machen können, dieses ist alles, was ich darvon zu berichten weiß. Vor das Englische Microscopium liegt eine Probe hier, welches in das Gehalt des größesten objectiv Glases muß gethan werden. Wenn es recht ist, so bitte daßelbe wiedrum zu übersenden, mit Befehl, wie vile Sie haben wollen. Neben diesem Ist in dem kleinen ⟨druttgen⟩ ein Sceleton eines Insects, dergleichen ich schon etliche gesamlet hätte, wenn ich nur eine bequähme art wiße dieselbe zu verwahren. Denn Sie sind sehr zahrt, zu mahlen alle füße von dem darauß gebrochenen Insect hohl gelaßen worden. Ist es E H Edl. angenehm, so werde ich mich befleißen mehrere zu samlen. Noch sind ein paar Steine da auß der Lorzen , die ich darum aufgehoben, weil ich Sie vor bequähm hielte, die Erzeugung des Aetites begrifflich zu machen; denn wenn einmahl die Schale ganz hart ist, so kann sich der innere Stein leicht lösen und klaffen. Ich halte also darvor, es seyn nicht nach der besten genauheit geredt, wenn Herr Linnæus sagt, Aetites generale Intra naturale Lapideum. Denn der Embryo wird nicht darin erzeuget; sondern von außen her überzogen. Von Plantis habe noch wenig merkwürdiges. Ich bin Ihnen aber auch niemahls nachgegangen. Ich hoffe mit der Zeit hier einige Observationen zu machen, von der Veränderung der Schale bey denen Krebsen, weil ich gute gelegenheit habe, und mir Herr Pfr. erzehlt, was er in seinem Fischgehalter hiervon wargenommen. Ich weiß, daß an einem Ort der Memoires de l’acad. des Sciences etwas hiervon steht, kann mich aber nicht mehr erinnern in welchem Jahr. Der Dannzapfen, darvon Ich E H Edl. muntlich etwas gesagt, ist mir wie es scheint auß meiner Stube ausgewischt worden. Sie empfangen also hier nur ein kleines Übelpleipsel, samt einer vorstellung wie ich den weißen Staub, der in denen schwarzen Capsulis ist; durch mein kleinstes Microscopium befunden habe. Ich bin in deßen noch ungewiß, was ich darauß machen wolle: Hoffe aber E H Edl. werden mir mehreres Leicht geben können.

Bey diesem anlaß nemme die Freyheit E H Edl. mir observation zu communiciren über die Generaleintheilung der Hist. Nat. Man nimt nemlich an, Es seyen auf unserer Erde dreyerley Gattung natürlicher dinge. Die erste haben nichts als das wachstum, die andere haben neben diesem Ein Leben, und die Dritte thun diesen beyden Stüken noch die Sinnen hinzu. Aber kan man nicht auch noch eine vierte Gattung machen, von solchen Sachen, die auch nicht mehr wachsen? In diese Claß gehören doch solche Sachen, die eben so schön und nuzlich sind als die übrige. Diese würde theil von neüen, theils von verstellten Sachen bestehen. Es würden z. E. darein kommen, die Waßer. Warum sollen diese übergangen werden? Hernach, fast die ganze dritte Claß des Linnæischen Regni Lapidei, die er Fossilia heißt. Denn die meiste oder doch sehr vile Sachen darin gehören nicht zu denen wachsenden Sachen p. Bitte mir aber hierüber E H Edl. erlauchtes Urtheil auß.

Hoffmani opuscula Physico Med. übersende mit verbindlichstem dank, so wol vor die gütigste mittheilung deßelben, als auch vor alle andern Bemühungen die Sie über diesen und andere Puncten, der Lunnerischen antiquiteten (denn dahin soll auch der Brunn, deßen waßer ich erforschen wollen gehören) genommen haben. Maupertuis von der Figur p. werde könftige woche widrum zurük senden. Das Vicariats Geschäfft hoffe ich nun außer gefahr zu sehen. Sollte es aber sehr fehrneren Motus machen; so bitte ich E H Edl. in dero genereuxen Eyfer vor meine Ruhe fortzufahren. Kann noch etwas zu meiner bereits sehr großen verbindlichkeit gegen E H Edl. hinzukommen, so wird es gewiß hierdurch geschehen. Ich nemme zugleich die Freyheit E H Edl. ein kleines werk zu recommendiren, das H. Præc. Ziegler an das Licht zu geben, willens ist, und das ich auß gewißen ursachen bestmöglich in gutem Stand zustellen trachte.

Hiermit Erlaße ich E H Edl. dem fehrneren Schuz des Höchsten und verbleibe mit aller Hochachtung Hoch Edler, Hochgelahrter p. Insonders Hochzuehrender Herr. Eüer Hoch Edel.

Ganz gehorsamer Diener JGSulzer.

Maschwanden d 19 May 1741.

P. S. Solte dem Microscopio izt oder ins künftige etwas manglen, so bitte zu befehlen. Den Circulum Musicum hätte bald wieder bis dahin vergeßen, danke schuldigst darvor.

Überlieferung

H: ZB, OH Sulzer. – E: Kittelmann Botanisches und gartenbauliches Wissen in Sulzers (Brief-)Werk 2018, S. 284.

Einschluss und mit gleicher Sendung

Ein Mikroskop. – Ein versteinertes Insekt.

Stellenkommentar

hiesigen aufenthalts
Sulzer hielt sich als Vikar in Maschwanden auf. Vgl. zu seinen naturkundlichen Praktiken und Unternehmungen, denen er sich seit dieser Zeit verstärkt widmete: Baumann und Kittelmann Zwischen Moos und Wetterglas. Naturkundliche Objekte und Interieurs in der Literatur der deutschsprachigen Aufklärung 2020.
Lorzen
Lorze, Fluss in der Schweiz. Maschwanden liegt nah an der Mündung der Lorze in die Reuss.
Aetites
Auch Adlerstein genannt, dem man in früheren Zeiten magische Kräfte beimaß. Er sollte eine schmerzlose und schnelle Geburt befördern helfen.
Herr Linnæus
Carl von Linné. Sulzer beschäftigte sich in dieser und der darauffolgenden Zeit intensiv mit Linné und publizierte 1746 Caroli Linnæi Anleitung / nach welcher ein Naturforscher die Historie eines jeden natürlichen Dinges genau und mit gutem Fortgang verfertigen kan.
Herr Pfr.
Name des Maschwandener Predigers, bei dem Sulzer Vikar war, nicht ermittelt.
Hoffmani opuscula Physico Med.
Friedrich Hoffmann, Opuscula Theologica-physica-medica, 1740.
Lunnerischen antiquiteten
Sulzers Schrift Ausführliche Beschreibung einer Merkwürdigen Entdeckung, verschiedener Antiquitäten: In dem, in der Herrschafft Knonau gelegenen Dorff Nider-Lunneren, in dem Jahr 1741 (als Beilage in: Johann Jacob Breitinger: Zuverläßige Nachricht und Untersuchung Von dem Alterthum Der Stadt Zürich, Und von einer Neuen Entdeckung Merkwürdiger Antiquitäten Einer bisher unbekanten Stadt In der Herrschafft Knonau: Die auf Hohen Befehl und Veranstaltung Einer Gn. Hohen Landes-Obrigkeit ist befördert worden, Zürich 1741).
Maupertuis von der Figur
Pierre Louis Moreau de Maupertius, Die Figur der Erden, bestimmet durch die Beobachtungen der Herren von Maupertuis, Clairaut, Camus, le Monnier, von der Academie der Wissenschaften, und des Hrn. Abts Outhiers, Correspondents der gleichen Academie, Zürich 1741.
H. Præc. Ziegler an das Licht zu geben
Johann Rudolf Ziegler (1695–1762). Bei der hier von Sulzer erwähnten Schrift handelt es sich um dessen Kurtze Anleitung zu nuzlicher Betrachtung der Schweitzerischen Natur-Geschichten inkl. der bereits erwähnten Übersetzung von Caroli Linnæi Anleitung / nach welcher ein Naturforscher die Historie eines jeden natürlichen Dinges genau und mit gutem Fortgang verfertigen kan.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann
Kommentar: Jana Kittelmann