Brief vom 23. Januar 1743, von Sulzer, J. G. an Hirzel, H. C.

Ort: Weyden
Datum: 23. Januar 1743

Mein Herr und verehrter Freund

Ich bin Ihnen verpflichtet, vor die Ehre, die Sie mir durch ihre Zuschrifft erwiesen haben, und versichere Sie, daß es mir jederzeit ein Vergnügen seyn wird, Brieffe von Ihnen zuempfangen. Daß Sie sich die Mühe geben wollen so viele angenehme Neüheiten zu berichten, ist mir ein gewißes Zeichen ihrer wehrtgeschäzten Freundschafft, davor ich gebührenden Dank erstatte: Ich wünschte gleichfalls im stande zu seyn mit andern Neüheiten aufzuwarten; allein diese Sachen muß man auf dem Lande, wo ich bin nicht suchen.

Mich verlangt sehr die neüe Ausgabe der Hallerischen Gedichten zu sehen; Ich zweifele nicht, dieselben werden einen neuen Ruhm nicht allein dem Herrn Verfaßer, söndern auch unserer Nation bringen. Es ist Schade, daß das Gedicht von der Ewigkeit nicht ganz ist; aber noch mehr Schade, daß er das Helden Gedicht von dem Ursprunge der Schweizerischen Freyheit welches er angefangen, nicht ausgeführt hat.

Von Liscovs Vorrede habe ich gehört, und ein guter Freünd hat mir Hoffnung gemacht, dieselbe zuüberschicken. Was aber den Dichter Krieg anbelangt, so mag ich die Mühe nicht mehr nehmen, weder die einte noch die andere Parthey anzuhören. Die Leipziger Poeten haben einen solchen Geschmack von der ächten Poesie und Beredsamkeit, und dabey so viel Beurtheilungs Krafft, daß man Hopfen und Malze an diesen Tropfen verlieret. Und gewiß, je weiter man den Streit Treibet, je weniger werden sie recht denken lernen. Man kann wohl, wie Liscov sagt, vor solche arme Tropfen beten, aber dieselbe zu bekehren halte ich vor unmöglich. Es dünkt mich sie seyen in der Poesie eben das, was in der Religion einer der die Sünde in den Heil. Geist begangen hat. Überdies sind die Belustigungen eine so elende Schrifft, daß auch der keine Ehre hat, der sich derselben wiedersezet, weil die Sache selbst so spöttisch ist, daß es keiner spöttischer wird können vorstellen.

Wenn die Übersetzung der Æneis durchaus so ist, wie die überschriebene Probe, so ist sie etwas schlechter, als eine Prosa Übersetzung. Das Latein soll mir nicht verleiden, so lange man keine Beßere Übersezungen hat.

Sie empfangen hier nach ihrem Belieben den Catalogum Plantarum; allein ich stehe nicht gut vor die Fehler, die darinn sind, denn zu der Zeit, da ich denselben geschrieben habe, waren mir die Botanische Wörter noch nicht recht bekannt. Es freüt mich so ofte, als ich höre, daß sich jemand auf die Betrachtung der Natur legt, und in sonderheit, da Sie es thun Mein Herr. Ich wünsche nur, daß der Nuzen davon bei Ihnen so groß und die Kenntniß noch größer sey, als bey mir. Gewiß, unter denjenigen Wissenschaften, die ich kenne, komt mir keine so edel vor, als die Naturwissenschaft und insonderheit die Historie der Pflanzen.

Aber warum fragen Sie doch mich, was Sie vor Bücher lesen sollen, da Sie den Herrn Chor Herrn Geßner fragen können? Sie haben des Herrn Linni Systema Naturæ. Von dem SteinReich hat Herr v. Bromell in seiner Mineralogia Svecana wohlgeschrieben. Item Henkel in s. Pyritologia, des gleichen Beccher und Stahl in der Physica Subterranea.+

Die Botanischen Schrifften kennen Sie beßer als ich und in der Historia animalium sind Joh. Rayi Schriften so viel ich weiß die vollständigsten. Meine Reiß Beschreibung hat Herr Waser, Sie können dieselbe entweder bey ihm begehren, oder warten bis ich sie wieder habe.

Ich bin

M. Herr u: Fr. ergeb. Diener Sulzer

Im Schloß Weӱden den 23 Jenner 1743

+ von den Petrefactis hat Herr Dr. Scheuchzer im Vollständigsten geschrieben.

Überlieferung

H: ZB, FA Hirzel 237 (64–116).

Eigenhändige Korrekturen

und dabey
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Überdies ist sind

Stellenkommentar

ihre Zuschrifft
Hirzels Briefe an Sulzer sind nicht überliefert. Hans Caspar Hirzel, Naturforscher, Mediziner und Verfasser physiokratischer Abhandlungen, zählt zu den engsten und lebenslangen Freunden Sulzers. Der 1725 in Kappel am Albis in ein alteingesessenes zürcherisches Bürgergeschlecht hineingeborene Hirzel hatte 1745 in Leiden studiert und promoviert und hielt sich anschließend im Jahr 1747 als Gehilfe bei dem Arzt Georg Ernst Stahl in Potsdam auf. Hier lernte er auch Gleim, Ramler und Kleist kennen. Hirzel gehörte zu Sulzers ältesten und engsten Freunden. Beide verband das gemeinsame Interesse an der Naturkunde, vor allem an der Botanik. Im Jahr 1742 hatten sie gemeinsam die Schweiz bereist. Sulzer verewigte die gemeinsame Unternehmung in der Publikation Joh. Georg Sulzers Beschreibung einiger Merckwürdigkeiten, welche er in einer Ao. 1742 gemachten Berg-Reise durch einige Oerter der Schweiz beobachtet hat. 1761 wurde er Stadtarzt und sorgte im selben Jahr mit der Publikation Wirthschaft eines Philosophischen Bauers für Aufsehen. Mit Sulzer hielt er lebenslang per Brief Kontakt. Hirzel verfasste 1779 kurz nach Sulzers Tod die zweibändige biografische Abhandlung Hirzel an Gleim über Sulzer den Weltweisen. Vgl. Mörgeli Hans Caspar Hirzel 2007.
neüe Ausgabe der Hallerischen Gedichten
Albrecht von Haller, Versuch schweizerische Gedichte, 1743, dritte veränderte und vermehrte Auflage.
Gedicht von der Ewigkeit
»Unvollkommene Ode von der Ewigkeit«. In: ebd. S. 149 ff.
Liscovs Vorrede
Christian Ludwig Liscow, der 1739 eine Sammlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften mit einer Vorrede publiziert hatte. Zu Liscows literarischer Wirksamkeit und fehlendem Nachruhm vgl. Hentschel Vom Lieblingsautor zum Außenseiter 2015, S. 91–119.
Dichter Krieg
Zum Literaturstreit zwischen Zürich und Leipzig vgl. Döring Literaturstreit zwischen Leipzig und Zürich 2009.
Belustigungen
Die von Johann Joachim Schwabe redigierte Zeitschrift Belustigungen des Verstandes und Witzes.
Übersetzung der Æneis
Johann Christoph Schwarz, Des Publius Virgilius Maro, Aeneis, ein Heldengedicht, in eben so viele Deutsche Verse übersetzet, und mit einer Vorrede [...] des Herrn Professors Gottsched begleitet, 1742.
Chor Herrn Geßner
Johannes Gessner.

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Kommentar: Jana Kittelmann
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