Mein lieber Freünd.
Ich bin schon lang überzeüget, daß es eine unsrer Ruhe sehr nachtheilige Sach ist, mehr Vernunft und beßere Gesinnungen zu haben, als die andern Menschen, unter denen wir leben. Aus dieser Quelle fließt auch gewiß der meiste Verdruß, den Sie haben. Dabey ist nichts zu thun, als Geduld zu haben und die Narren reden laßen; sich aber so wenig, als möglich ist mit ihnen zu thun zu machen.
Ich fürchte doch sehr, daß ihr Herz einen zu großen Einflus auf ihre Unternehmung in Ansehung der Gellertschen Schriften habe. Aus Freündschafft und Hochachtung gegen den seel. Man, seinen Verwandten mit seinem eigenen Schaden mehr dienen, als es nöthig war, scheint doch das Gute zu übertreiben. Man hat nicht einmal allemal Dank dafür.
Man hat auch mir Gleimische ⟨Scheine⟩ zu einem Monument für Gellert angetragen. Ich stuhnd aber keinen Augenblik an, die wahre Quelle dieser Sache zuentdeken und antwortete, daß ich nicht glaubte, daß Sie und die Gellertschen Freunde in Leipzig diese Hülffe von Gleim verlangten. Wäre dieses nicht, so sehe ich auch nicht, was für einen Beruff Gleim habe, außer dem Monument in Leipzig noch ein andres aufzurichten.
Ihre Einladung nach Leipzig hat viel reizendes. Der Umstand allein Hr. Wieland da anzutreffen wäre vermögend mich dafür zu loken. Aber wie fatal – Ich habe vom Hofe einen Auftrag bekommen, gleich nach Ostern ein Geschäft in Pommern auszurichten, welches gerade in die Zeit fällt, die ich so gerne bey Ihnen zubringen möchte. Gienge es nicht an, daß Hr. Wieland seine Reise etwas späther hinaussezte, und daß Sie dann mit ihm hierher kämen? Ich wünschte aus gar viel Ursachen, daß dieser erste aller deütschen schönen Geister, einmal nach Berlin käme. Daß dieses aber zwischen Ostern und Pfingsten dieses Jahrs geschähe wünsche ich aus oben angeführtem Grund nicht.
Ich werde dafür sorgen, daß der Druk meines Werks durch meine Reise nicht unterbrochen werde. Alles geht izt ordentlich; und nun können Sie auf den ersten Theil für die Michaelis Meße Rechnung machen.
Ihr Freund aus Wien ist noch nicht angekommen, ich werde mir ein Vergnügen daraus machen, ihm darin zu dienen, wo ich immer wird Gelegenheit haben.
Ich umarme Sie von Herzen. JGSulzer
den 4 März 1770
H: Freies Deutsches Hochstift, A: Sulzer.