Brief vom 4. März 1770, von Sulzer, J. G. an Reich, P. E.

Ort: Berlin
Datum: 4. März 1770

Mein lieber Freünd.

Ich bin schon lang überzeüget, daß es eine unsrer Ruhe sehr nachtheilige Sach ist, mehr Vernunft und beßere Gesinnungen zu haben, als die andern Menschen, unter denen wir leben. Aus dieser Quelle fließt auch gewiß der meiste Verdruß, den Sie haben. Dabey ist nichts zu thun, als Geduld zu haben und die Narren reden laßen; sich aber so wenig, als möglich ist mit ihnen zu thun zu machen.

Ich fürchte doch sehr, daß ihr Herz einen zu großen Einflus auf ihre Unternehmung in Ansehung der Gellertschen Schriften habe. Aus Freündschafft und Hochachtung gegen den seel. Man, seinen Verwandten mit seinem eigenen Schaden mehr dienen, als es nöthig war, scheint doch das Gute zu übertreiben. Man hat nicht einmal allemal Dank dafür.

Man hat auch mir Gleimische ⟨Scheine⟩ zu einem Monument für Gellert angetragen. Ich stuhnd aber keinen Augenblik an, die wahre Quelle dieser Sache zuentdeken und antwortete, daß ich nicht glaubte, daß Sie und die Gellertschen Freunde in Leipzig diese Hülffe von Gleim verlangten. Wäre dieses nicht, so sehe ich auch nicht, was für einen Beruff Gleim habe, außer dem Monument in Leipzig noch ein andres aufzurichten.

Ihre Einladung nach Leipzig hat viel reizendes. Der Umstand allein Hr. Wieland da anzutreffen wäre vermögend mich dafür zu loken. Aber wie fatal – Ich habe vom Hofe einen Auftrag bekommen, gleich nach Ostern ein Geschäft in Pommern auszurichten, welches gerade in die Zeit fällt, die ich so gerne bey Ihnen zubringen möchte. Gienge es nicht an, daß Hr. Wieland seine Reise etwas späther hinaussezte, und daß Sie dann mit ihm hierher kämen? Ich wünschte aus gar viel Ursachen, daß dieser erste aller deütschen schönen Geister, einmal nach Berlin käme. Daß dieses aber zwischen Ostern und Pfingsten dieses Jahrs geschähe wünsche ich aus oben angeführtem Grund nicht.

Ich werde dafür sorgen, daß der Druk meines Werks durch meine Reise nicht unterbrochen werde. Alles geht izt ordentlich; und nun können Sie auf den ersten Theil für die Michaelis Meße Rechnung machen.

Ihr Freund aus Wien ist noch nicht angekommen, ich werde mir ein Vergnügen daraus machen, ihm darin zu dienen, wo ich immer wird Gelegenheit haben.

Ich umarme Sie von Herzen. JGSulzer

den 4 März 1770

Überlieferung

H: Freies Deutsches Hochstift, A: Sulzer.

Stellenkommentar

Gellertschen Schriften
Gellert war 1769 gestorben und Reich verlegte 1770 dessen Moralische Vorlesungen.
Monument für Gellert
Kurz nach Gellerts Tod gab es mehrere Projekte und Initiativen, dem verehrten und vielgelesenen Dichter ein Denkmal zu errichten, auch Gleim setzte sich dafür ein. Sulzers Brief an Gleim wurde nicht ermittelt.
Geschäft in Pommern
Sulzer unternahm in diesen Jahren häufig Inspektionsreisen, auch an Bildungseinrichtungen in Pommern. Vgl. dazu Caflisch-Schnetzler Pädagogik und Kommunikation 2014. Sulzer besuchte u. a. Starogard in Pommern (heute Gmina Stargard in Polen) und das dortige Collegium Groeningianum und wurde auf seiner Reise von Johann Joachim Spalding begleitet, wie er in einem Schreiben vom 30. September 1770 an Hans Caspar Hirzel berichtete: »der Hr. Spalding mit dem ich itzt in Pommern bin um die Gymnasia dieser Provinz zu visitiren, freüt sich über ihr gütiges Andenken und empfiehlet sich Ihnen bestens.« (ZB, FA Hirzel 237). Sulzer gedachte dem Schreiben zufolge »in 8 bis 10 Tagen wieder in Berlin zu seyn.« (ebd.).
Druk meines Werks
Johann Georg Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Erster Theil, 1771.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann
Kommentar: Jana Kittelmann