Mein liebster Freünd.
Ich hatte schon durch den Hrn. Dir. Schultheiß erfahren, daß eine ungeschikte und verwünschte Hand das Bild des Königs verdorben, das unserem Bodmer so viel Vergnügen gemacht hatte. Ich habe nun wieder ein anderes, das eben so ist angeschaft; aber ich kann es der Post noch nicht anvertrauen. Die Briefe gehen durch Örter, wo die ReichsArmee alles durchsucht, und es würde mich zu sehr ärgern, wenn ein solches Ding in unwürdige Hände fiele. Unser Freünd muß sich also noch eine Zeit lang gedulden, sein Verlust soll ihm gewiß ersezt werden. Es ist ganz natürlich, mein werthester Freünd, daß Sie zwischen diesem Bilde und dem ihrigen wenig ähnlichkeit sehen. Ein Gesicht sieht im Profil allemal ganz anders aus als in einer geraden Ansicht. Nur ein Maler kann die Ähnlichkeit in beyden entdeken. Ihr Bild ist ganz aus dem Kopf gemalt, weil man keines hatte, das nach dem Leben gemalt war; es hat also so viel Ähnlichkeit, als es auf diese Weise haben konnte, und muß nothwendig unvollkommen seyn. Das lezte habe ich auf folgende weise bekommen. Die Königin besizt ein Bild in Lebensgröße, welches würklich nach der Natur, aber vor 20 Jahren gemacht worden und damals sehr ähnlich war. Weil es in Profil ist, und also zu einer Medaille sich gut schiket, so wollte ich dem Medailleur Moerikofer in Bern, eine Copey davon machen laßen. Die Königin erlaubte nicht nur daß ich daßelbe konnte copiren laßen, sondern Sie kam zu uns, als der Maler damit beschäftiget war, und rieth verschiedenes darin zu ändern um das Bild nach dem iezigen Alter des Königs ähnlich zu machen. Sie blieb auch so lange bey dem Maler, bis die völlige Ähnlichkeit erkannt wurde. Eben der Maler, der das ihrige gemacht hat, machte das neüe, und der ganze Hof fand es so gut, daß ich es für unsre Prinzen und Prinzeßinnen und mehr Personen über 20 mal habe copiren laßen. Es ist also das zuverläßigste Bild dieses so merkwürdigen Menschen. Das erste, das in Gegenwart der Königin ist gemalt worden, habe ich an Moerikofern geschikt, der die Medaille danach machen wird.
Ich habe seit einiger Zeit nicht an Sie geschrieben, weil ich gerne warten wollte, bis ich Ihnen wichtige Neüigkeiten melden könnte. In unseren Gegenden steht alles beynahe noch so, wie zu Anfange des Frühlings. Es scheinet mir offenbar zu seyn, daß der König nichts hat unternehmen wollen, so lange der Prinz Heinrich so weit von Sachsen weg gewesen. Denn so lange der Ausgang solcher wichtigen Unternehmungen ungewiß bleibet, erfodert die Klugheit seine Anstallten auf alle fälle zu machen. Nunmehr aber, da der Prinz Heinrich wieder zurüke ist, dörfften bald wichtige Scenen sich eröfnen. Dieser Prinz hat nicht nur die meisten Magazine der Feinde zernichtet, und ihre Armee um einige Tausend Man geschwächet, sondern so viel Briefschaften von den feindlichen Höfen in die Hände bekommen, daß wir von allen ihren Anschlägen, ihren guten und bösen Umständen u. ihren Gesinnungen untereinander so gut unterrichtet sind, als wenn sie uns zu ihren geheimen Berathschlagungen geruffen hätten. In Wahrheit die Vorsehung sorget vor uns!
Jezo glaubt man, daß in wenig Tagen die Scene in Böhmen sich eroffnen werde. Ich werde, so bald etwas von Wichtigkeit vorfallen wird Ihnen Nachricht geben. Die Rußen laßen sich in unseren Gränzen noch nicht anders, als in streiffenden Partheyen sehen. Sie sind würklich nicht im Stande mit gehörigem Nachdruk zu komen. Wir haben ein Heer gegen Sie, das ihnen sehr gewachsen ist, wenn es gut angeführt wird. Wenn nur der König an allen Orten seyn könnte. Die Trupen der Feinde kommen aus Böhmen häuffig zu uns herüber, und man kann deütlich sehen, daß sie den Muth ziemlich haben sinken laßen. Vielleicht gefällt es der Vorsehung dies Jahr dem Elend der Völker ein Ende zu machen.
Ich gehe iezo mit allen Seegeln in meiner Arbeit über die Künste fort, und es scheinet mir bisweilen, daß ich von weitem Land erblike. Aber ofte ist es eine bloße Täuschung. Hätte ich von Anfang gewußt in was für ein weites Meer ich so kühn und so leichtsinnig abstieß, so würde ich mich nicht herein gewaget haben. Aber iezo bereue ich die Verwegenheit nicht. Geduld und Muth überwindet alles. Ich werde, wie Colombo nur an die Inseln des fernen Welttheiles komen, und da einen sicheren Aufenthalt gründen, nach mir wird wol ein Amerikus und ein Magellan komen, das Land vollends zu entdeken. Jezo wünsche ich ernstlich so lange zu leben, bis ich dieses werde ausgeführt haben. O Wenn ich Sie, mein theürer Freünd zum Begleiter auf dieser großen und gefährlichen Reise haben könnte! Wie viel leichter und angenehmer und sicherer würde sie mir seyn!
Vor einiger Zeit kam mein neveu, des seel. Dechant Brunners Sohn hieher. Er ist ein rechtschaffener Jüngling, der mir lieb und werth ist -– Ich freüe mich über die Veränderungen in Zürich. Wenn Sie nicht selbst Gelegenheit haben den neüen Hrn. Sekelmeister bald zu sehen, so laßen Sie durch unseren Bodmer mich ihm empfehlen und ihm meine Freüde über seine Erhöhung bezeügen. Gott erhalte ihn, bis er zur Höchsten Würde gestiegen ist, und alles gute gestiftet hat, das von einem Mann von seinen Verdiensten zu erwarten steht.
Es ist mir lieb, [→]daß Wieland in einen anderen Canton versezt wird. Ich war immer besorget, etwas verdrießliches zu hören, so lange er noch in Zürich war. Aber wie wird er mit seinen neüen Gönnern zurechte kommen? Sind es Leüthe denen seine Verdienste so gefallen, daß sie für die Fehler seines Temperaments und seiner Erziehung die gehörige Nachsicht haben werden? Ich hoffe, daß [→]die Anstallten, welche man in Bern zu Ausbreitung nüzlicher Erkenntnis macht, in Zürich so viel Aufsehen erweken werden, daß man auch anfangen wird, von der Theorie zur Ausübung zu schreiten. Die Physische Gesellschaft daselbst lebt gar zu sehr im Verborgenen. Der Mahler Füßli hat allein schon weit mehr Ehre für sich erworben, als diese ganze Gesellschaft.
Wir haben hier den Brief bekommen den Voltaire neülich an Hallern geschrieben, nebst der Antwort des lezteren, die jedem ausnehmend gefallen hat. Dies war der einzige wahre weg, dem alten Sünder die Wahrheit zu sagen. Die Vorige Woche haben wir bey der Academie, wieder einen Preis ausgetheilt. Er fiel dies mal mit recht dem göttingischen Prof. Michaelis zu, weil seine Schrift die beste war, ob er gleich verschiedene wesentliche Fragen kaum obenhin berührt hat. Wir haben ihm dabey wißen laßen, was wir noch über das, was er gethan, erwartet haben. Vielleicht sezt er die Untersuchung fort; wenn dieses nicht geschiehet, so bin ich der Meinung, daß man den Theil der Frage, wie die Vollkommenheit der Sprache, auf die richtigkeit und Vollkommenheit der Verschiedenen Verrichtungen des Geistes, einfließe und sie befördere, noch einmal zum Preis vorzulegen.
Sehen Sie mein theürer Freünd, daß ich Lust habe über viele Dinge mit Ihnen zu schwazen. Heüte würde ich Ihnen den längsten Brief schreiben, wenn ich nur Zeit dazu hätte. Aber ich muß diesen Vormittag noch mehr Briefe schreiben, und ich kann dieses nicht bis Nachmittag aufschieben, weil es gar zu ungewiß ist, daß ich alsdenn Zeit dazu habe. Grüßen Sie unsre Freünde von mir. Ich bin von Herzen der ihrige
Sulzer
den. 5 des Brachm.
H: SWB, Ms BRH 512/73.